Risikomanagement im Umwelt- und Klimaschutz: Die „Hierarchy of Controls“ als “Startup-Kit“
Die „Hierarchy of controls“ ist ein Tool aus dem Risikomanagement und findet Anwendung im Arbeitsschutz, um die Sicherheit und Gesundheit von Beschäftigten sicherzustellen. Das Prinzip kann aber auch im Umwelt- und Klimaschutz angewendet werden und hier wertvolle Beiträge liefern. Und: Die Hierarchy of controls kann ein möglicher „Kick-Start“ sein für Unternehmen, die sich dieser Thematik annähern wollen.
Ein Beitrag unseres Senior Experts für Risikomanagement & Compliance Steven Bechhofer
Die „Hierarchy of Controls“ (HOC, Hierarchie von Maßnahmen), ist ein Risikomanagement-Tool, das in vielen Staaten dieser Erde Anwendung im Arbeitsschutz findet, um mit Gefahren und Gefahrenquellen („Hazards“) umzugehen.1 Bei der Anwendung der HOC geht es darum, eine Priorisierung von Maßnahmen im Umgang und in der Behandlung von bekannten Risiken festzulegen.
Das National Institute for Occupational Safety and Health (NIOSH) und die Occupational Safety and Health Administration (OSHA) verwenden die folgende Abfolge („Flow“) von Maßnahmen:
- Elimination – die Gefahr/ihre Quelle umfassend und komplett eliminieren
- Substitution – die Gefahr/ihre Quelle durch andere Vorgehensweisen ersetzen
- Engineering controls – die Gefahr durch technische Maßnahmen von Menschen fernhalten
- Administrative controls – die Arbeitsabläufe durch verfahrens- und prozessorientiere Maßnahmen beeinflussen, um Risiken zu vermeiden
- Personal protective equipment – Mitarbeiter mit Schutzkleidung schützen
In Australien wird zudem von der staatlichen Behörde Safe Work Australia eine weitere Stufe nach Substitution und vor „Engineering controls“ eingesetzt: „Isolation“
- Isolation – die Isolierung der Gefahr/ihrer Quelle und das Fernhalten von Gefahren
Ganz konkret bedeutet das: wenn Elimination und Substitution bei einem bestimmten Gefahrenquelle nicht mehr fruchten oder sich als unpraktisch erweisen, soll die Isolation eingesetzt werden.
Die „Hierarchy of Controls“ (HOC, Hierarchie von Maßnahmen) ist ein Risikomanagement-Tool, das in vielen Staaten dieser Erde eine breite Anwendung im Arbeitsschutz findet, um auf Risiken und Gefahren („Hazards“) einzugehen. Je nach Definition umfasst sie fünf oder sechs Stufen.
Die HOC bietet die Möglichkeit für jedes der erkannten bedeutsamen Gefahren eine geeignete Methodik / Maßnahme zu finden, um dieser effektiv zu begegnen und sie zu behandeln. Im Bereich Arbeitssicherheit bietet sie hierfür sechs Stufen an. Dabei sollte man immer das Ziel vor Augen haben, eine Methode oder eine Maßnahme zu finden, die die Gefahr bzw. ihre Quelle und/oder die resultierenden Auswirkungen eliminiert. Wenn eine Eliminierung nicht vollständig gelingt oder gelingen kann, arbeitet man die Stufen von oben nach unten durch, um die geeignetste und effektivste Methodik der Risikominimierung zu finden. Was am Ende verbleibt ist häufig ein Restrisiko, das in der Regel mit einer ergänzenden Unterweisung durch Vorgesetze begleitet werden muss. So können restliche Gefahren rechtzeitig erkannt werden, wenn die vorgesehenen Präventionsmaßnahmen nicht greifen oder versagen. Es gilt aber: Ein Risikomanagement-Tool wie die HOC ersetzt alleine weder ein integriertes Managementsystem, noch kann es die Komplexitäten einer umfassenden Analyse als Basis einer Gesamtstrategie abbilden. Aber es liefert wichtige Einsichten, wenn es darum geht, die Dimensionen, über die wir risikotechnisch sprechen, festzulegen und den Gedankenaustausch über den Interpretationsrahmen für weitere Lösungsansätze anzuregen. Die obersten Maßnahmen und Methoden in der schematischen Darstellung der Hierarchie (umgekehrte Pyramide) sind in der Regel effektiver und wirkungsvoller in der Risikoeindämmung /-vermeidung als die darunter folgenden Maßnahmen. Das hört sich recht abstrakt an, hat jedoch einen ganz konkreten Zweck: das Befolgen der Reihenfolge hilft dabei, mögliche Maßnahmen einzuordnen. Die Frage, die es bei jedem Schritt zu beantworten gilt, lautet: Sind die Maßnahmen erforderlich, geeignet und hinreichend, um das Risiko zu eliminieren oder zu minimieren?
Es ist unumgänglich, die wichtigsten Risiken in einem vorgelagerten Prozess zu identifizieren. Dies geschieht häufig durch die Analyse von Unfall-Daten, inklusive aller sog. „Near Misses“. Damit erfasst man zunächst die Umstände, die in der Vergangenheit zu Unfällen, größeren Schäden oder Beinahe-Unfällen geführt haben. In der Regel verwendet man dazu eine „Heat Map“. Dies ist eine schematische Darstellung, die die Wahrscheinlichkeit, dass eine Gefahr auftritt und die Wahrscheinlichkeit, dass dies negative Auswirkungen hat, in ein konkretes Verhältnis zueinander setzt. Als Beispiel einer solchen Heat Map, wird hier die vom Bundesamt für Strahlenschutz empfohlene Risikoanalyse in der Strahlentherapie nach FMEA (Failure Mode and Effects and Criticality Analysis) gezeigt.2
Eine "Heat Map“ ist eine schematische Darstellung, die die Wahrscheinlichkeit, dass eine Gefahr auftritt und die Wahrscheinlichkeit, dass dies negative Auswirkungen hat, in ein konkretes Verhältnis zueinander setzt. Als Beispiel wird hier die vom Bundesamt für Strahlenschutz empfohlene Risikoanalyse in der Strahlentherapie nach FMEA (Failure Mode and Effects and Criticality Analysis) gezeigt.
So simpel diese Form der Risikoanalyse erscheint, wäre es ein Fehler, diesen Schritt „im stillen Kämmerlein“ ohne fremde Unterstützung vorzunehmen. Erfahrungsgemäß ist es sinnvoller die Diskussion über die Risikolage in einer (oder mehreren) Gruppe(n) von Expert*innen und Erfahrungsträger*innen zu führen. Dadurch fließen persönliche Erfahrungen und Erkenntnisse in die Risikoanalyse ein. Die Tatsache, dass so völlig unterschiedliche Erkenntnisse zutage gefördert werden – je nachdem wer an der Diskussion beteiligt ist – sollte als Chance verstanden werden, vorhandene Vorurteile (Biases) in Frage zu stellen und zu prüfen. Selbst wenn es z. B. datenbasierte Erfahrungen gibt, die eine gewisse Wahrscheinlichkeit für ein Ereignis begründen (z. B. die Jahrhundertflut), neigen Menschen, die eine Sturmflut schon erlebt haben, dazu zu glauben, dass ein derartiges Ereignis sich früher in ihrem Umfeld wiederholen kann, als es die errechnete Wahrscheinlichkeit vorhersagt. Dieses Phänomen bezeichnet man als „Availability Bias“ („Verfügbarkeitsheuristik“). Sinnvoll ist es natürlich bei der Einführung von neuen Technologien ein neues Assessment von möglichen Risiken (etwa beim Einsatz von Robotern) und eine Betrachtung der neuen Schnittstellen zwischen Mensch und Maschine mit einzubeziehen.
Die HOC bietet neben der Risikoanalyse eine wichtige Perspektive für den Umgang mit Gefahren schlechthin. Denn statt der Ökonomie steht die Effektivität einer Präventivmaßnahme im Vordergrund. Die Frage „Wie können wir dieses Risiko effektiv behandeln?“ wird gestellt, bevor man Fragen wie „Was kostet uns das?“ und „Ist die Umsetzung überhaupt machbar / zumutbar?“ stellt. Zudem erlaubt diese Methodik eine Verankerung in den wichtigen Aufbau- und Ablaufprozessen einer Organisation. Sie erlaubt und fordert Fragen, wie z. B.:
- Sind die gewählten Maßnahmen zur Eliminierung oder Minimierung von Risiken geeignet und (noch) effektiv?
- Gibt es Möglichkeiten in der Hierarchie eine Stufe nach oben zu gehen, um dadurch effektiver zu handeln?
- Werfen die Controls – bzw. die getroffenen Maßnahmen ihrerseits – neue Probleme auf?
- Hat man aufgrund von Erfahrungen aus beobachteten Abläufen Hinweise, dass man Risiken übersehen oder falsch eingeschätzt hat?
- Werden Mitarbeiter*innen über den Umgang mit Restrisiken ausreichend geschult und informiert?
- Sind die Mitarbeiter*innen in den sie betreffenden Risiko-Identifikations- und -Behandlungsprozess eingebunden?
- Ist ein regelmäßiger Dialog über bestehende Risiken mit allen Stakeholdern etabliert?
Zusammengefasst kann die Anwendung der Hierarchy of Controls im Bereich des Arbeitsschutzes eine stärkere Transparenz und eine höhere Effektivität im Umgang mit Chancen und Risiken gewährleisten, wenn man ernsthaft versucht, die bedeutsameren Risiken auf eine strukturierte Art und Weise zu eliminieren bzw. zu minimieren. Sinnvoll ist eine Verankerung dieses Tools in einem Managementsystem, das die Ergebnisse dokumentiert, eine kritische Betrachtung von außen erlaubt (vor allem durch unabhängige Auditoren) und vom Management eine gewisse Aufsicht erfordert.
Ein wichtiger Nebeneffekt, über den weniger gesprochen wird, der aber vielleicht genauso bedeutsam ist, ist die Möglichkeit die HOC dafür zu nutzen, einen Schutz gegen eine persönliche gesetzliche Haftung bzw. eine Haftung des betreffenden Unternehmens aufzubauen. Neben dem Nachweis, dass man qualifizierte und geeignete Mitarbeiter*innen für eine Aufgabe ausgewählt hat und diese beaufsichtigt, gehört es zu den erforderlichen Aufgaben von Arbeitgeber*in und Manager*in, adäquate Schutzmaßnahmen gegen bekannte Risiken vorzunehmen. Die HOC ist eines der wichtigsten Werkzeuge, um effektive Präventionsmaßnahmen auszuwählen und mit der hinreichenden Dokumentation darzutun, dass man die „im Verkehr erforderliche Sorgfalt“ erfüllt, was der Maßstab für die Vermeidung von fahrlässigem Handeln ist.
Wo findet die Hierarchy of Controls Anwendung im Bereich Umwelt- und Klimaschutz?
Die Vorgehensweise und die gelebte Praxis der HOC können wertvolle Beiträge im Bereich Umwelt- und Klimaschutz liefern. Warum diese Anlehnung an den Arbeitsschutz bzw. die Arbeitssicherheit? Der Arbeitsschutz bietet einen relevanten Ansatz, wenn es darum geht, komplexe Zusammenhänge zu erkennen und diese risikotechnisch – d. h. mit risikomindernden Maßnahmen – zu behandeln. Ähnlich wie im Arbeitsschutz gibt es im Bereich des Umwelt- und Klimaschutzes komplexe, risikobehaftete Zusammenhänge. Beide Bereiche – der Arbeitsschutz und der Umwelt- / Klimaschutz – werden von einer Vielzahl gesetzlicher und zum Teil komplexer administrativer Regelungen gesteuert, egal in welchem Land der Erde man sich bewegt. Außerdem brauchen beide Bereiche Standards, Prozesse und Kontrollen, um effektiv umgesetzt zu werden. Weil sich diese beiden Bereiche sehr stark mit den Themen Schutz und Prävention beschäftigen, lohnt es sich zu prüfen, ob sich bewährte Tools und Vorgehensweisen aus dem einen oder anderen Bereich übertragen lassen.
Sich mit altbekannten Tools für neue Herausforderungen zu befassen hat für Firmen und Betriebe zwei ergänzende, positive Aspekte: die Vertrautheit im Umgang mit diesen Tools und die Zugänglichkeit und Identifikation der Mitarbeiter*innen mit den so gewonnenen Erkenntnissen. Sie auf neue Prozesse und Vorgehensweisen einzuschwören bedeutet oft eine große Herausforderung. Die Verwendung von bekannten Abläufen und Bezugsrahmen erleichtert dabei den Einstieg und schafft so eine größere Akzeptanz. Diese Akzeptanz kann insbesondere dann bedeutsam sein, wenn es darum geht, Vorurteile in einer offenen und ehrlichen Atmosphäre zu identifizieren, abzubauen oder zumindest zu verringern.
Schauen wir uns dazu eine mögliche Abwandlung der Hierarchy of Controls an:
Die Hierarchy of Controls kann – in Abwandlung - auch im Bereich Umwelt- und Klimaschutz angewendet werden.
- Stufe 1 Elimination: Hier geht es um die völlige Eliminierung eines möglichen Risikos für die Umwelt. Ein Beispiel ist die Vermeidung von Autofahrten und die damit einhergehende Eliminierung des CO2-Ausstoßes, z. B. durch die Förderung von Möglichkeiten zur Nutzung von Homeoffice für Mitarbeiter*innen oder durch den Umstieg auf öffentliche Verkehrsmittel oder die Nutzung des Fahrrads für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte.
- Stufe 2 Substitution: Hier geht es um den Ersatz eines bekannten Risikos durch eine andere, weniger schwere Umweltbelastung, z. B. der Ersatz von Ottomotoren in PKWs durch Elektromotoren, die batteriebetrieben sind. Die Gesamtumweltbelastung ist zwar dadurch nicht eliminiert, doch zumindest was die Belastung durch CO2 anbelangt, auf jeden Fall reduziert.
- Stufe 3 Isolation: Bekannte Risiken sollen eingegrenzt werden, z. B. durch die Nutzung von Sequestrations- und Speichertechnologien, die die Umweltrisiken durch CO2
- Stufe 4 Engineering Controls: Hierbei geht es um die Entwicklung neuartiger Technologien, um die Auswirkungen eines bekannten Umweltrisikos technisch in den Griff zu bekommen. Ein Beispiel wäre die Reinigung von Diesel-Abgasen durch den Einsatz von Ad-Blue-Lösungen. Dies ist nicht zu verwechseln mit der Entwicklung neuer Technologien, um das Risiko völlig zu eliminieren (Stufe 1).
- Stufe 5 Administrative Controls: Hierbei geht es um die Einrichtung von Prozessen und Arbeitsabläufen, um Risiken zu minimieren. Ein Beispiel hierfür ist die Verwendung von Grenzwerten, die einen tolerablen Restrisikobereich festlegen. Dies führt nicht unbedingt zu einer unmittelbaren Risikominderung, doch die Grenzwerte können als Messlatte für weitere Maßnahmen der vorigen Stufen 1 - 4 genutzt werden (z. B. das 2 Grad-Ziel bei der Klimaerwärmung).
- Stufe 6 Environmental PPE: In dieser Stufe geht es um „Schutzkleidung“ gegen bekannte umweltschädliche Substanzen. Damit können nur abgrenzbare Bereiche, die besonderen Risiken ausgesetzt sind, geschützt werden, z. B. durch die Schaffung von Refugien, von denen bestimmte Umwelteinflüsse durch technische oder andere Maßnahmen abgehalten bzw. reduziert werden. Ein Beispiel sind Schutzhüllen, die auf Gletschern gelegt werden, damit die Schmelze verlangsamt wird.
- Stufe 7 Repair & Restoration: Die letzte Stufe schafft eine neue Kategorie der HOC, in der es um die Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands geht, bzw. darum, Voraussetzungen zu schaffen, dass dies zeitnah erfolgt. Beispiele sind Wiederaufforstungsmaßnahmen bzw. Schutzmaßnahmen, um weltweit Waldflächen zu erhöhen. Streng genommen handelt es sich hier nicht um eine Control um keine echte Präventionsmaßnahme. Doch solche Maßnahmen und Bemühungen existieren, und sollten nicht geleugnet werden, nur um damit der heutigen Diskussion um „Klima-Kompensation“ vermeintlich aus dem Weg gehen zu können
Es kann durchaus sinnvoll sein, die HOC auch bei umwelt- und klimarelevanten Themen einzusetzen. Die gleichen Vorteile, die es im Bereich des Arbeitsschutzes gibt, findet man bei der hier vorgestellten abgewandelten HOC für den Umwelt- und Klimaschutz. Speziell nach der Dokumentation der Risiken durch eine vorgezogene Risikoanalyse kann die Anwendung der HOC wichtige Hinweise über die erforderliche, strukturierte Behandlung in den Stufen 1-7 liefern. Die Transparenz wird erhöht und die Effizienz von Umwelt- und Klimaschutzmaßnahmen kann gemessen werden. An dieser Stelle sei wieder bemerkt, dass es mit der Anwendung dieses Tools nicht darum gehen kann die Grundlage einer Gesamtstrategie für solche komplexen Themen wie Umweltschutz und Klimaschutz zu bieten. Es soll eine erste Einschätzung der Lage und eine vorurteilsfreie Betrachtung ermöglicht werden, die als Ansatzpunkt für weitere Diskussionen dienen kann – ein möglicher „Kick-Start“ für Unternehmen, die auf der Suche nach Möglichkeiten sind, sich der Thematik sinnvoll zu nähern.
Sprechen wir kurz über die Grenzen dieses Tools und seiner Anwendungsgebiete. Drei Bereiche fallen mir hierzu ein, wo der Einsatz problematisch sein könnte:
- Industrien und Unternehmen, die es als Hauptgrund ihres Daseins darauf angelegt sind, wertvolle Ressourcen zu verarbeiten und dadurch die Umwelt und das Klima in negativer Art und Weise beeinflussen, „dolose Emittenten“, wie zum Beispiel Kohlekraftwerksbetreiber.
- Unternehmen, die nur in Zusammenhang mit anderen Marktteilnehmern einen negativen Beitrag leisten, die sog. „why me Unternehmen“, die ohne schlechtes Gewissen darauf hindeuten können, dass ihr Beitrag isoliert betrachtet keine nennenswerten „existenziellen“ Risiken oder Schäden verursachen kann. Ein Beispiel hierfür sind Wasserverbräuche in der Halbleiterindustrie.
- Klein- und Kleinstunternehmern, die nur geringfügige Emissionen verbreiten und auch sonst nur einen geringfügigen Einfluss auf ihre Umwelt ausüben. „Mini-Sinners“, wie zum Beispiel IT -Dienstleister.
Zur ersten Gruppe, den „dolosen Emittenten“, ist anzumerken, dass sie aufgrund ihrer gesellschaftlichen Akzeptanz, die es in Wirklichkeit nicht gibt oder geben darf, einen geschützten Raum beanspruchen. Gerade diejenigen, die auf ihr Recht pochen weiterhin die Ressourcen des Planeten für eigene wirtschaftliche Zwecke zu nutzen, ohne am Ende die Vollkostenrechnung präsentiert zu bekommen, sollten bedenken, dass es in diesem Bereich keine Freischeine gibt –„there ain’t no such thing as a free lunch“. Wenn diese Unternehmen die Erkenntnis gewinnen, dass es ein „weiter so“ nicht gibt, werden sie ebenfalls erkennen, dass der Einsatz eines Umwelt- / Klimaschutz HOC Sinn macht, um die negativen Auswirkungen ihres Handelns zu begrenzen.
Bei den „why me Unternehmen“ muss man dagegen auf einen Kunstgriff zurückgreifen , um der Argumentation entgegenzuwirken, dass ein Unternehmen allein keine Verantwortung im Rechtssinne für Ressourcenverschwendung und Umwelt- / Klimaschutz trägt. Hier geht es auch um einen der kognitiven Biases, dass auch die „why me Unternehmen“ durch ihr Handeln kumulativ mit anderen Marktteilnehmern dazu beitragen, dass Risiken und Schäden existenzieller Art entstehen können. Der wissenschaftliche Nachweis, dass diese kumulativen Risiken und Schäden im Umwelt- und Klimabereich nicht nur auf einer beschränkten lokalen Ebene verursachen, sollte in diesem Zusammenhang immer wieder betont werden. Vergleichen kann man das mit einer Großküche: wenn jeder Koch, der an einem großen Suppentopf vorbeigeht und meint, da sei noch kein Salz in der Suppe und eine Prise Salz hineinrieseln lässt, dann trägt jeder dieser Köche eine Verantwortung dafür, dass am Ende die Suppe versalzen ist. So gesehen kann das HOC-Tool auch hier einen sinnvollen Einsatz finden, wenn man die Beiträge der „why me Unternehmen“ als „existenziell“ betrachtet und die sieben Stufen der Pyramide nutzt, um diesen existenziellen Risikobeiträgen Einhalt zu gebieten.
Schließlich wird man bei den „Mini-Sinners“ gerechter Weise die Frage stellen können: „Was sollen die ganzen Tools für die wenigen Emissionen, die sie verursachen, und für die geringen Ressourcen, die sie verbrauchen, bringen?“. Auch hier ist der gleiche Kunstgriff notwendig, wie bei den „why me Unternehmen“: Jeder Beitrag – sei er noch so klein – ist aufgrund des Kumulationseffekts beachtenswert. Manchen „Mini-Sinnern“ wird tatsächlich ein Licht aufgehen, wie groß der Beitrag tatsächlich sein kann, wenn er den Versuch wagt, ein Nachhaltigkeits-Controlling aufzusetzen. Die sieben Stufen des HOC können auch in diesem Randbereich Szenarien aufzeigen, die es rechtfertigen würden, neue strategische Überlegungen anzustellen.
Das Ergebnis einer HOC-Übung sind dokumentierte Szenarien, die in einer späteren strategischen Diskussion genutzt werden können. Genauso wie die reine Erarbeitung von Szenarien, ist die Feststellung wichtig, dass manche (neue) Maßnahmen im Umgang mit Umwelt- / Klimarisiken unvermeidbare Restrisiken nach sich ziehen. Als Beispiel sei die Schaffung von alternativen Energiekapazitäten durch die Errichtung von Windrädern zur Stromerzeugung genannt. In diesem Beispiel ist die Störung von Biotopen und die Gefährdung von Zugvögeln eine neu geschaffene (Rest)gefahr. Diese Einsicht kann – je nach Entwicklungserwartung – dazu führen, festgelegte Strategien gelegentlich zu überprüfen bzw. regelmäßig in Frage zu stellen.
Für Stakeholder gibt es darüber hinaus Möglichkeiten mit Firmen, die dieses Tool einsetzen, eine transparente Diskussion über ihre Umwelt- und Klimaschutzpolitik zu führen. Hierbei ist es egal, ob dies den betrieblichen oder den produktbezogenen Umweltschutz oder den Klimaschutz insgesamt betrifft. Ohne hier auf die gesetzlichen und behördlichen Pflichten in Zusammenhang mit der nicht-finanziellen Berichterstattung im Einzelnen einzugehen, kann man mit der Anwendung der hier vorgestellten Umwelt- / Klimaschutz HOC vermutlich leichter erkennen und für sich selbst überprüfen, ob „Greenwashing“ betrieben wird, beispielsweiße wenn ausschließlich über Maßnahmen gesprochen oder nachgedacht wird, die in der Stufe 7 (Repair & Restoration) zu finden sind und keine Diskussion über Maßnahmen in den anderen Hierarchiestufen geführt wird. Anders ausgedrückt: wenn die veröffentlichte Umwelt- und Klimaschutzstrategie eines Unternehmens ausschließlich Maßnahmen benennt, die auf Stufe 7 der hier vorgestellten HOC stehen, liegt höchstwahrscheinlich eine Tendenz zum „Greenwashing“ vor.
Zusammenfassend kann man sagen, dass herkömmliche Risikomanagement-Tools in einer immer komplexer werdenden Welt durchaus noch ihren Platz haben, besonders wenn man sie an den Anfang einer Diskussion stellt, wie man neuartigen Gefahren begegnen kann.
Referenzen:
1 https://en.wikipedia.org/wiki/Hierarchy_of_hazard_controls
2 https://medizinphysik.wiki/risikomanagement/
Zur weiteren Nachlese:
In seinem Werk „Profiting from Uncertainty” schreibt Paul Schoemaker über die Mischung von “Myopic Eyes and Timid Souls” (Kurzsichtigkeit und die Angst vor Verlusten), die insbesondere bei Entscheidungen von Managern in einer unsicheren VUCA-Welt (Abkürzung für „Volatile, Uncertain, Complex and Ambiguous“) auftritt.