COP27 revisited: Unprofessionelles Management, Enttäuschung und ein kleiner Funken Hoffnung
Mit Peter Höppe haben wir einen ausgewiesenen COP-Kenner in unseren eigenen Reihen. Höppe, Professor für Biometeorologe, Experte für Klimawandel und Umweltrisikobewertung, vormaliger Klimarat der Bayerischen Staatsregierung, Gründer und Honorary Chair von MCII und 14-maliger COP-Teilnehmer, blickt skeptisch auf die 27. COP in Scharm El-Scheich zurück. Sein Eindruck: „Die COP war bestimmt von schlechter Organisation und Blockade, es gab in Teilen mehr Rück- als Fortschritt“. Was ihn störte, wo er Handlungsbedarf sieht und welche vom Wüstensand verwehte Idee er wieder freilegen möchte, hat er uns in einem Gespräch erläutert.
Prof. Höppe, welche Schwerpunkte haben sich für Sie herauskristallisiert auf dieser 27. COP?
Für mich gibt es drei wesentliche Themen, die die diesjährige COP geprägt haben: Zuallererst die Rahmenbedingungen. Noch nie wurde es Teilnehmenden – ich spreche hier vor allem von Aktivist:innen, Mitgliedern von NGOs, jungen Menschen – so schwer gemacht, zur COP zu reisen. Wir haben von kurzfristig stornierten Hotelbuchungen gehört, von horrenden Preisen für Hotelzimmer, von Überwachung und Behinderung durch den ägyptischen Geheimdienst. So etwas soll und darf bei einer Weltkonferenz unter UN-Dach einfach nicht passieren. Ein weiterer Kritikpunkt: Die unprofessionelle Vorbereitung und Durchführung der Sitzungen durch den ägyptischen Verhandlungsführer. Die Grundvoraussetzungen waren somit bereits denkbar schlecht. Dabei hatte man im Vorfeld große Hoffnungen in den Gastgeber Ägypten gesetzt. Die COP hatte lange nicht mehr in einem Entwicklungsland stattgefunden und auf der Agenda standen bekanntermaßen vorwiegend Themen, die eben gerade Entwicklungsländer betrafen. Die Voraussetzungen wären günstig gewesen, hier auch im eigenen Interesse die relevanten Themen weiter voranzutreiben.
Das zweite große Augenmerk richtete sich auf das Thema Mitigation¹. Eigentlich sollten auf der COP27 die Ziele aus dem Pariser Abkommen nachgeschärft werden, doch das Gegenteil war der Fall. Plötzlich wurde wieder diskutiert, ob das 1,5 Grad-Limit überhaupt noch haltbar sei. Zur Erinnerung: Das 1,5 Grad-Limit wurde 2015 auf Initiative kleiner Inselstaaten neben dem völkerrechtlich verbindlichen 2-Grad Limit festgehalten. Selbst wenn die Versprechungen aus Paris eingehalten worden wären – was de facto bis jetzt nicht der Fall ist – würden wir heute auf ca. 2,6 Grad Erderwärmung zusteuern. Momentan liegen wir sogar auf einem Pfad deutlich darüber. Die dringend notwendige Nachschärfung der Emissions-Reduktionsziele wurde nun erneut vertagt, auf 2025. Eine weitere Enttäuschung war für mich, dass die Länder, die bislang kein Commitment zu einem Weg zu CO2-Neutralität aufgezeigt haben, wieder keine eigenen ambitionierten Ziele eingebracht haben. Stattdessen bekräftigten die erdölfördernden Länder unterstützt von China zwar den schrittweisen Ausstieg aus der Kohle. Erdöl und Erdgas werden jedoch in der Abschlusserklärung nicht weiter erwähnt. In meinen Augen ein deutlicher Rückschritt.
Der dritte große Fokus lag auf dem Thema „Loss and Damage“². In vielen Medienberichten war zu lesen, dieser Punkt sei zum ersten Mal auf der Agenda gelandet. Dies ist so aber nicht richtig. Bereits 2009, auf der gescheiterten Konferenz in Kopenhagen, haben sich die Industrieländer verpflichtet, ab 2020 jährlich 100 Mrd. Dollar an Unterstützungszahlungen für Entwicklungsländer zur Verfügung zu stellen. Im Jahr darauf wurde „Loss and Damage“ – auch schon unter diesem Namen – beim Klimagipfel in Cancún auf den Weg gebracht und 2013 in Warschau weiterentwickelt. Man beschäftigt sich also bereits eine ganze Weile damit. Die Entwicklungsländer werden nun zu Recht ungeduldig, denn man hat ihnen etwas versprochen, was man nicht einhielt. Die 100 Mrd. sind bislang nicht zustande gekommen, je nach Berechnung kommt man auf 50, höchstens 70 Mrd. an zusätzlichen Zahlungen. Einige Länder rechnen einfach ihre Entwicklungshilfeausgaben mit ein, um ihre Bilanz aufzupolieren.
Lassen Sie uns noch kurz bei Ihrem Spezialgebiet „Loss and Damage“ bleiben. Sie waren 2005 der Initiator und bis 2021 der Vorsitzende der MUNICH CLIMATE INSURANCE INITIATIVE (MCII), die viele Jahre Lobbyarbeit für versicherungsbasierte Klimaanpassungslösungen für ärmere Länder betrieben hat, außerdem waren Sie langjähriger Leiter des Bereichs GeoRisikoForschung der Munich Re. Warum ist es Ihrer Einschätzung nach so schwierig, hier zu einer Einigung zu kommen und einen „Loss and Damage“-Fonds endlich auf den Weg zu bringen?
Der Fonds wurde zwar beschlossen, aber keiner weiß, wie der Mechanismus funktionieren soll. Und es sind viele Fragen offen: Wer sollen die Einzahler sein, wie sollen die Beiträge berechnet werden? Meiner Meinung nach sollte man hier die historische Klimaverantwortung zugrunde legen, also die CO2-Mengen, die jedes Land historisch akkumuliert in die Atmosphäre eingetragen hat. Welchen Zeitrahmen legt man der Berechnung zugrunde? Ich würde den Zeitpunkt als Startdatum vorschlagen, ab dem bekannt war, dass mit dem Ausstoß von CO2 Schaden angerichtet wird, also etwa 1990. Wenn man 1990 wählt, müsste der aktuelle Hauptemittent China ganz besonders in die Pflicht genommen werden. Oder geht man noch weiter zurück? Dann würde es eher die alten Industrienationen Westeuropas und der USA treffen, die Länder mit dem historisch immer noch größten Ausstoß an CO2. Hier gibt es zig verschiedene Ansätze. Nehmen wir an, wir würden die Daten ab Beginn der Industrialisierung in die Berechnung einfließen lassen, dann entfiele auf die USA ein Anteil von 25,5 %, auf die EU 27 17,8 % und China müsste immerhin für einen Anteil von 13,6 % der anthropogenen CO2-Moleküle in der Atmosphäre geradestehen. China kann also nicht behaupten, keine Mitverantwortung zu tragen.
Eine besondere Verantwortung innerhalb der EU sehe ich bei Deutschland, das bei diesem Gipfel auf der Überholspur war und versucht hat, ganz viel anzuschieben. Deutschland verantwortet 6 % der globalen akkumulierten CO2-Emissionen bei einem Bevölkerungsanteil von 1 %. Wir haben also auch überproportional viel Verantwortung. Würde Deutschland 6 % der Zahlungen übernehmen, so wäre das in meinen Augen gerecht. Noch gerechter wäre es, die Einzahlungen proportional zur aktuellen Differenz zu den weltweit durchschnittlichen Pro-Kopf Emissionen festzumachen. Dass sich China als ein großer CO2-Emittent weigert, sich den Geberländern zuzuordnen und noch immer als Entwicklungsland gelistet ist, obwohl es die weltweit zweitgrößte Volkswirtschaft ist, finde ich unverantwortlich. Einige COP-Teilnehmer:innen, mit denen ich im Austausch stehe, vermuten übrigens, dass es noch bis zu 4 - 5 Jahre dauern könnte, bis der „Loss and Damage“-Fonds überhaupt Regeln hat und bis feststeht, wie er funktioniert. Bislang ist also das einzige positive Ergebnis der COP27 eine Luftnummer.
Um abschließend noch eine positive Sache zu benennen: Was ich gutheiße – und auch hier hatte Deutschland eine führende Rolle inne – ist der Beschluss des Global Shields³, das unter der G7-Präsidentschaft Deutschlands initiiert und am 14. November auf der COP offiziell gestartet wurde. Eine Vorreiterrolle nimmt auch Dänemark ein, das sich als erstes Land bereit erklärt hat, 100 Mio. Kronen (ca. 13 Mio. Euro) an die Sahelzone zu bezahlen. Deutschland hat mich ebenfalls positiv überrascht, es wurden Zahlungen in Höhe von 170 Mio. Euro zugesagt. Insgesamt ist der Global Shield bislang 240 Mio. Euro schwer und kann im Notfall die dringend benötigte Soforthilfe anschieben. Hier sind zwar noch ein paar Spielregeln zu klären, aber das Projekt ist deutlich weiter fortgeschritten als der „Loss and Damage“-Fonds.
Sie haben eingangs die Vorbereitung und Durchführung der COP bemängelt. Ist die COP in Ihren Augen noch zeitgemäß oder bräuchte es ein ganz anderes Format?
Meiner Ansicht nach sollte die Konferenz nicht jedes Jahr abgehalten werden. Die zielführende Arbeit findet sowieso nicht während, sondern zwischen den COPs statt. Möglicherweise sollten sich die Nationen, die wirklich etwas bewegen wollen, wie von der G7 und führenden Stimmen vorgeschlagen, zu einer „Allianz der Willigen“ zusammenschließen. Sie könnten verbindliche Pläne ausarbeiten und dann versuchen, andere mitzuziehen. Die „Unwilligen“ könnte man im Gegenzug mit Strafzöllen belegen. Leider ist dieser „Wille“, den wir so dringend benötigen, aber unmittelbar an die politische Gesinnung des jeweils aktuellen Staatsoberhauptes gebunden, auch diese Allianz steht also keineswegs auf festen Beinen. Ferner ist das Einstimmigkeitsprinzip bei den COPs meiner Ansicht nach nicht weiter tragbar, denn so kommt man immer nur auf den kleinsten gemeinsamen Nenner und ein einziges Land reicht aus, um alles zu blockieren. Die Ironie dahinter: Auch um das Einstimmigkeitsprinzip abzuschaffen bräuchte es Einstimmigkeit. Vielleicht muss man also das Ganze völlig anders aufziehen, um neue Regeln zu schaffen.
Welches Fazit ziehen Sie, welche Hoffnungen und Ziele haben Sie ganz persönlich?
Ich wünsche mir, dass Deutschland und die EU weiterhin eine führende Rolle im Klimaschutz aber auch bei den Anpassungsmaßnahmen einnehmen. Wenn wir allerdings selbst nicht in der Lage sind, unsere Klimaziele einzuhalten, wird es natürlich schwer, ein glaubwürdiges Vorbild zu sein. Auch der Krieg wirkt sich sehr negativ auf die Klimabestrebungen aus. Russland ist dabei, überschüssiges Gas, das durch den Importboykott nicht verkauft werden kann, zu verbrennen. Ein Wahnsinn! Mich selbst spornt das aber an, mich in Zukunft noch mehr zu engagieren und mitzuhelfen, aus diesem Tal wieder herauszukommen.
Die größte Herausforderung sehe ich darin, China auf eine kooperativere Spur zu bringen. Eigentlich war China immer klimabewusst und hat auch viel in Erneuerbare Energien investiert. Der Peak der Kohleverbrennung ist wohl bereits erreicht und die Emissionen daraus nehmen langsam ab. Der Verkehr nimmt jedoch immer weiter zu und ob der anvisierte Emissions-Peak 2030 überhaupt noch spruchreif ist, wage ich zu bezweifeln. Das wird stark von der wirtschaftlichen Entwicklung abhängen. Auch bei uns in Deutschland ist der Verkehr ein Thema. Wir haben viel zu wenige E-Autos auf der Straße, die Ladesäulensituation ist noch nicht gelöst, deshalb zögern viele, sich ein E-Fahrzeug zuzulegen. Die großen SUV-artigen E-Autos sind alles andere als umweltverträglich. Elektromobilität ist dann sinnvoll, wenn wir mit kleinen und leichten Autos fahren. Je mehr Kilos bewegt werden müssen, desto größere und schwerere und damit energiefressende Batterien werden benötigt.
2008 / 2009 habe ich die industrielle Ökostrominitiative zu DESERTEC (DII) mit angestoßen. Ich denke, das wäre ein Teil der Lösung, denn es ist klar: Wir brauchen in Zukunft viel mehr Strom, den wir auf unserer beschränkten Fläche nicht effizient erzeugen können. Deshalb wäre es vorteilhaft, in der Sahara Solar- und Windkraftwerke zu haben und neben Strom auch noch grünen Wasserstoff zu erzeugen und über Pipelines nach Europa zu pumpen. Leider fiel diese Initiative dem Arabischen Frühling zum Opfer, niemand wollte mehr in die Region investieren, dann kam die Wirtschaftskrise in Griechenland und den südeuropäischen Ländern und die ambitionierten Pläne verschwanden in der Schublade. Ich bin aber zuversichtlich, dass diese Pläne bald wieder hervorgeholt werden, auch weil es ökonomisch sinnvoll ist. Wir werden in Europa erkennen, dass wir damit die Klimaziele leichter und kostengünstiger erreichen können.
Prof. Höppe, ganz herzlichen Dank für das Gespräch.
¹In der Klimapolitik ist damit die Reduzierung des Treibhausgasausstoßes gemeint, mit dem Ziel, den globalen Anstieg der Temperaturen zu begrenzen.
²“Loss and Damage“ steht für Verluste und Schäden, die durch den Klimawandel verursacht werden, sei es aufgrund von plötzlich auftretenden Extremwetterereignissen wie Wirbelstürmen oder von langsamen Prozessen wie dem Meeresspiegelanstieg. Auch eine Häufung von Fluten oder Dürren zählt dazu. Angesichts des weiterhin unzureichenden Klimaschutzes nimmt die Bedeutung und Brisanz dieses Themas zu.
³Global Shield against Climate Risks (versicherungsbasierter globaler Schutzschirm für Verluste und Schäden durch die Klimaerwärmung)